Pleiten, Pech und Pannen

Wir sind auf dem Ijsselmeer, es ist Pfingstmontag, 20.05.2024. Habt ihr alle den heiligen Geist empfangen, sonst gibt es hier (hoffentlich) lesenswerte Zeilen zur christlichen Seefahrt.

Was war in den letzten Tagen passiert? Till, und zwei Freunde (Luca und Alex) sind in Harlingen zugestiegen um bis Amsterdam mitzusegeln. Harlingen ist wirklich eine schöne und sehr lohnenswerte Stadt. Der Plan war, binnen durch Friesland auf der „Staande Mastroute“ (eine Route in den Niederlanden auf Binnenwasserstraßen, die ein Segelboot mit stehendem Mast befahren kann), um dann im südlichen Ijsselmeer nach Amsterdam zu gehen. Soweit, so gut.


Pleiten, Pech und Pannen – Teil 1: Wir gehen in Harlingen durch die Schleuse und schippern Binnen bei schönstem Sonnenschein durch den Van-Harinxma-Kanal. Die wirklich schöne holländische Landschaft zieht an uns vorbei. Ich müsste genaugenommen „friesische“ Landschaft sagen. In diesem Teil der Niederlande die Bewohner „Holländer“ zu nennen, käme einer schweren Beleidigung gleich, es sind Friesen, was sie sogar mit einer eigenen Flagge, einem hohen Maß an lokaler Identität und eigenem Dialekt zum Ausdruck bringen.

Zum Nachmittag sind wir hinter Leeuwarden und wollen auf der „alten“ Staande Mastroute nach Süden in den Prinses-Margriet-Kanal abbiegen. Wir kommen an eine Brücke, über die die Schnellstraße „N 31“ führt. Wie sonst üblich befindet sich hier kein Hinweis auf einen Funkkanal, kein Wartesteg, keine Beschilderung, rein gar nix. Wir legen uns an ein Arbeitsschiff und studieren die nautische Literatur. Alles in Niederländisch, was das Lesen schwer macht und erst Klarheit nach dem Einsatz des Google-Übersetzungsprogramms bringt: Diese Brücke wird nicht mehr bedient. Wenn, nur nach Anmeldung einmal die Woche mittwochs. Es wird die neue Staande Mastroute empfohlen, welche ungefähr parallel verläuft, jedoch nur für Schiffe mit einem Tiefgang bis max. 1,90 m geeignet ist, wir haben 2,10 m. Echt Klasse. Umdrehen, zurück nach Harlingen, den ganzen Weg (35 Nm, Binnen wird in Kilometer gemessen, mithin über 60 km). Wir bleiben eine Nacht in Leeuwarden „for free“, in einem Gewerbegebiet, durchaus akzeptabel, ruhig da Feiertag, wir können Diesel an einer Seetankstelle mit Kartenzahlung bunkern, die Jungs bestellen sich am Abend ein Taxi und fahren ins Zentrum auf Partytour. Man muss das Beste aus der Situation machen. Am nächsten Morgen laufen wir in Leeuwarden aus, in Harlingen geht´s in die Waddenzee, dann ins Ijsselmeer und können unter Segel von Harlingen bis nach Hindeloopen fahren. Hindeloopen lohnt sich sehr, ein wirklich schöner Ort und ein ordentlicher Hafen. Viele deutsche Boote und Touristen, man nennt es auch das „Kölner Eck“ am Ijsselmeer. Passt irgendwie.


Und die Moral von der Geschicht: Lerne Niederländisch, lesen bildet!!!


Hindeloopen zum angucken:


Pleiten, Pech und Pannen – Teil 2: Das Thema mit dem Groß. Es lässt sich ja seit Lauwersoog nicht mehr ausrollen, es klemmt im letzten Drittel. Hintergrund dieser Panne: Das Groß (und auch die Genua) sind nagelneu. Der Segelmacher hat im oberen Drittel eine „Bavaria“-Raute und die Bezeichnung „B 45“ angebracht. So wollte ich das auch haben und so war der Auftrag an den Segelmacher. Die Raute und das B 45 werden aufs Segel aufgeklebt, auf beiden Seiten des Segels. Sieht gut aus und eine Kennzeichnung im Segel macht Sinn. Nun muss die Verklebung irgendwie nicht gut gewesen sein. Der Lieferant (Fa. Gotthardt aus Hamburg) hat keine plausible Erklärung gefunden. Die Raute und der Buchstabe B haben sich auf dem Segel zum Teil gelöst und das Segel beim Einrollen wunderbar verklebt und das so unglücklich, dass das Rollgroß irgendwann im letzten Drittel weder aus- noch eingerollt werden konnte. Also im Gewerbehafen von Leeuwarden war der richtige Augenblick gekommen, wir haben Luca hoch in den Mast gewinscht und er musste die verklebte und blockierte Stelle im letzten oberen Drittel des Segels entwirren und die Klebereste vom Segeltuch entfernen, wir konnte Stück für Stück das Segel wieder ausrollen bis es nach 15 Minuten endlich wieder frei war. Auf den Bildern sieht man diese Aktion recht gut.

Wir haben nun wieder ein voll funktionsfähiges Rollgroß. Danke Luca. Nur der guten Ordnung halber mag erwähnt werden, dass die neuen Segel der Ulysses eine tolle Segelperformance geben.


Und die Moral von der Geschicht: rollen und kleben verträgt sich nicht!!!


Pleiten, Pech und Pannen – Teil 3: Der streikende Autopilot, ich hatte ihn in einem der vorausgehenden Blogbeiträge schon kurz erwähnt. Jetzt kann ich es ja sagen und zugeben. Die Reise wäre fast schon nach wenigen Minuten an der Ansteuerungstonne von Burgtiefe auf Fehmarn zu Ende gewesen. Viele Stegnachbarn und Segelfreunde haben uns beim Ablegen in Burgtiefe mit den besten Glückwünschen am Freitag letzter Woche ganz herzlich verabschiedet. Wir fahren die Hafenausfahrt raus, an der Ansteuerungstonne vor Burgtiefe setzen wir für gewöhnlich die Segel. Hierzu stellen wir das Boot in den Wind, betätigen den Autopiloten, sozusagen die dritte Hand, er hält das Boot auf Kurs und wir können in Ruhe die Segel setzen. Diesmal kam alles anders, als das Boot im Wind war und ich den Autopiloten betätigt habe, legt der eiserne Gustav das Ruder hart Backbord. Auch ein zweiter Anlauf scheitert, der Autopilot legt sofort das Ruder mal hart Backbord, mal hart Steuerbord und schafft es nicht einfach nur kurstreu geradeaus zu fahren. Wir gehen erstmal unter Maschine Richtung Fehmarnsund. Ich überlege fieberhaft, wo der Fehler liegen könnte? Hat der Autopilot noch einen alten Wegepunkt, der räumlich hinter uns liegt, dass er dahinfahren will? Ich habe keine Erklärung. Ein neuer Versuch führt dazu, dass der Autopilot das Ruder hart Backbord legt und das Ruder in dieser Position blockiert. Na Klasse, jetzt können wir nur noch einen Kreis fahren. Ich gerate in operative Hektik. Im Kopf läuft ein Notfallprogramm ab: Ich muss die gesamt Steuerung stilllegen und wir gehen unter Notruder zurück in den Hafen Burgtiefe. Die Stegnachbarn hätten vielleicht geguckt, eben noch die Ulysses verabschiedet und nach 30 Minuten sind wir mit Ruderschaden zurück. In Windeseile laufe ich nach unten, hole mein Werkzeug, wir fahren in langsamer Fahrt Kreise vor der Ansteuerungstonne Burgtiefe. Micha geht Ausguck und ggf. andere Boote zu warnen. Ich öffne die Wartungsklappe in der achterlichen Kabine und komme auf dem Rücken liegend über Kopf an die Steuerung des Autopiloten. Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken, dass man in dieser Position schnell seekrank werden kann. Ich baue die Schubstange, die den Antriebsmotor des Autopiloten mit dem Steuerungsgestänge und Quadranten der beiden Ruderblätter verbindet aus.


Ansicht Antriebsmotor mit Schubstange:

Somit haben wir die Ruderanlage wieder freigängig. Ich kann sogar den Antriebsmotor wieder mit der Hand zurückstellen und alles wieder zusammenbauen. Wir sind also wieder safe, das Boot lässt sich steuern, das Ruder funktioniert fehlerfrei. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sieht es so aus, als müssten wir die kommenden 1.500 Meilen von Hand steuern, keine wirklich reizvolle Aussicht, aber es gibt Segler die haben eine vollständige Weltumsegelung von Hand gesteuert. Also ich will nicht rumjammern. Und die Peinlichkeit, dass wir kurz nach dem Ablegen wieder in Burgtiefe mit Notruder einlaufen, bliebt mir auch erspart. In den kommenden zwei Tage habe ich viel über Ursachen und Lösungen nachgedacht. Versuche, den Autopiloten in Betrieb zu nehmen, scheiterten. Er legt immer wieder hart Backbord oder Steuerbord Ruder. Intensive Überlegungen bringen mich auf die Idee, dass ich ja im Winterlager einen neuen Raymarine-Axiom-Plotter (das ist vergleichbar mit einem Navigationsgerät im PKW) eingebaut habe. Der Plotter ist mit dem gesamten System über einen Datenbus verbunden. Also muss es so sein, dass der neue Plotter dem Steuergerät vom Autopiloten irgendwie falsche Daten übermittelt. Ich tauche ein in die Einstellungen des Plotters und des Steuergerätes des Autopiloten, mache mit dem Steuergerät des Autopiloten ein Reset auf Werkseinstellungen und kalibriere ihn vollständig neu. Danach muss der Autopilot neu angelernt werden, verschiedene Ruderstellungen müssen einprogrammiert und alle Parameter neu eingestellt werden. Und siehe da: Nach dem Reset, der vollständigen Kalibrierung und Parametrierung funktioniert der Autopilot wieder fehlerfrei, mehr noch, durch neue Parameter im Steuergerät steuert der eiserne Gustav bei viel Welle etwas besser als vorher – geht doch.


Und die Moral von der Geschicht: Hast du einen Raymarine-Axiom-Plotter neu und fein, resete den Autopiloten und stelle ihn neu ein!!!

2 Replies to “Pleiten, Pech und Pannen”

  1. Segeln, das heißt sein Boot an den schönsten Orten zu reparieren. Na dann drücken wir euch mal die Daumen das nichts mehr nachkommt. Viel Spaß und Dankeschön für die Berichterstattung. 🤗🤗🤗

  2. Moin, es heißt ja auch Segelabenteuer. Mit der MS Europa geht es bequemer, es sei denn man ist der Nachtstaubsauger ( für Insider) ! Aber mit der MS Europa erlebt man nicht wirklich die Momente, die eine Seereise ausmachen. Kein Mensch hätte so lange von Ernest Shackleton erzählt, wäre sein Schiff nicht im Eis zerdrückt worden und gesunken, die Mannschaft auf der Eisscholle „Patient Camp“ monatelang herumgetrieben und auf Elephant Island gestrandet. Danach wurde der größte Teil der Mannschaft, die dort monatelang ausharren musste, durch die navigatorische Meisterleistung von Frank Hurley, der ein Ruderboot 1300 km über den windgepeitschen Südatlantik gesegelt hat (ohne Autopilot und Ploter) , gerettet.
    In diesem Sinne wünsche ich Euch weitere Abenteuer (mit Packeis werdet Ihr es ja nicht zu tun bekommen). Viele Grüße Andreas
    P.. S.
    Die gesamte Geschichte ist im Buch : „ Der Stille Held Tom Crean nachzulesen“.

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