Als hätte jemand einen Schalter umgelegt: Endlich Sommer
Seit letzten Sonntag ist nun endlich sonniges Wetter, man kann eine kurze Hose und ein T-Shirt beim Segeln auf dem Wasser tragen, es fühlt sich nicht mehr an wie Herbst. Ihr werdet gedacht haben, ich bin mit meinem Boot untergegangen, habe ja längere Zeit nichts im Blog geschrieben. Wir waren damit beschäftigt, die Tiefdruck-Gebiete zu zählen. Wir fanden es unglaublich, es ist Juni und ständig ziehen Schlechtwetterfronten durch, die viel Starkwind und Regen im Gepäck haben. Alle 3 oder 4 Tage zeigt sich dann ein Rückseitenhoch. Das bescherte uns einen schönen Segeltag, um dann wieder die nächste Front durchziehen zu lassen. Seit letzten Sonntag ist jedoch Sommer angesagt, wir ankern, liegen faul in der Sonne, laufen täglich mind. 10 km am Strand entlang, trinken Cappuccino in der Strandbar, gucken aufs Meer: so fühlt sich Sommer an!!!
Wo waren wir in der dazwischen liegenden Zeit? Das ist im Grunde schnell erklärt. Calais war ja unser letztes Ziel und wir hatten uns diesen schicken rumänischen Mietwagen organisiert. Damit sind wir dann nach Lille gefahren, einfach, weil wir dachten, das ist bestimmt eine schöne nordfranzösische Stadt. Wir haben über die Schnellstraße 90 Minuten von Calais nach Lille gebraucht und sind kurz vor der Innenstadt von Lille in ein Mega-Verkehrschaos geraten, was dazu führte, dass wir nochmals 90 Minuten für die letzten 2 km bis zum Parkplatz brauchten. Der Grund dafür:
Die „27éme Pride“ wurde in Lille gefeiert, die gesamte Innenstadt gesperrt und wir mittendrin. Das standen wir also in einer der größten Veranstaltung der LGBTQ-Szene. In Frankreich traditionell auch sehr politisch und links angehaucht, aber es verlief alles sehr friedlich, sehr laut, sehr schrill, sehr bunt, seht selbst:
Und am letzten Tag in Calais sitzen wir zum Frühstück im Salon, gucken aus dem Fenster und sehen mehrere Uniformierte auf dem Steg stehen. Ich gehe ins Cockpit und auf dem Steg stehen 4 französische Zöllner. Sofort werde ich befragt, die Zöllner kommen an Bord, einer nimmt unsere Reisepässe, geht damit von Bord (wir vermuten um die Pässe online zu checken). Die anderen Zöllner prüfen im Salon unsere Bootsdokumente, gucken sich um und befragen uns nach unserer Reiseroute. Im Salon hängt eine Übersichtskarte der gesamten Nordsee, darauf zeichne ich immer die gesegelte Strecke ein. Diese Karte schaffte Aufklärung, die Zöllner nahmen an, wir wären nonstop von Deutschland nach Calais gesegelt. Nach der ganzen Fragerei wurde von einem der Zöllner alles in ein Formular eingetragen. Nach 15 Minuten war die Überprüfungsprozedur beendet. Wir fanden es schon komisch, wurden wir doch vor einigen Tagen an der Zollbehörde im Fährhafen Calais weggeschickt wie dumme Kinder, mit dem Hinweis als EU-Bürger ohne Stempel im Pass wäre alles ok, nun die umfangreiche, unangekündigte Überprüfung an Bord.
Von Calais sind wir mit einen Wetterfenster, dass uns guten Wind und einen wunderschönen Segeltag geschenkt hat nach Dunkerque gesegelt. Das war ein wirklich schöner Raumschot-Kurs, der Strom und die Welle liefen mit, wir haben kurz überlegt, weil es so gut lief, nicht nach Dunkerque rein zu gehen, sondern weiter zu segeln. Aber wir hatten uns viel von Dunkerque versprochen. Wir bekamen einen tollen Liegeplatz im Hafen. Die Anfahrt hat uns etwas verschreckt, man segelt an riesigen Industrieanlagen vorbei und die Fähren und Berufsschiffe laufen aus und ein. Wie gesagt, wir hatten kurz überlegt weiter zu segeln, sind dann aber doch in die zweite Einfahrt zu den Sportboothäfen gegangen. Der Ort hat uns aber so gar nicht gefallen. Man gibt sich in Dunkerque alle Mühe, öffentliche Verkehrsmittel sind „for free“ und gut getaktet. Aber die Stadt selbst hat uns nicht gefallen, es gibt kein „richtiges“ Zentrum und wenig Ansprechendes. Es mag daran liegen, dass im 2. Weltkrieg wohl alles zerstört wurde und der Aufbau in den 1950er- und 1960er-Jahre erfolgte. Keine wirklich reizvolle und ansprechende Architektur. Wir sind schnell wieder zurück zum Boot gegangen und haben uns für dringend notwendige Dinge des Bordlebens entschieden. Es war notwendig die dreckige Wäsche zu waschen, im Hafen befanden sich gute „Miele“-Waschmaschinen und Trockner. Also ab in die Waschküche. Hat auch alles prima geklappt und als wir die erste Ladung Wäsche aus der Waschküche abgeholt haben, habe ich (scherzhaft gemeint!!!) den gerade anwesenden Hafenmanager, der damit befasst war, die Coins aus den Bezahlautomaten der Miele-Maschinen zu leeren, mit meinen bescheidenen Französisch-Sprachkenntnissen angequatscht:
„un jeton s´il vous plais“
Was dazu führte, dass Micha über so viel Albernheit die Augen verdreht hat und der Hafenmeister mir lächelnd einen Jeton für die Waschmaschine in die Hand gedrückt hat. Geht doch, eine weitere Ladung Wäsche konnte gereinigt werden. Ich sollte meine Französischkenntnisse weiter ausbauen und vertiefen, es könnte Talent in mir schlummern?
Mein Fazit zu Frankreich: Ein wundervolles Land und superfreundliche Menschen, es lässt sich gut leben in Frankreich. Das Segeln in Frankreich ist anspruchsvoll, macht aber viel Spaß – gerne wieder
Am nächsten Morgen sind wir früh in Dunkerque ausgelaufen, Dunkerque gefiel uns wirklich nicht, auch wenn das Waschen dort günstig war. Unser nächstes Ziel war Belgien. Eine Küste, die man an einem ¾-Tag absegeln kann (und zynische Segler raten dazu es auch zu tun), aber wir wollten uns Belgien ansehen und kennenlernen, wir waren bisher noch niemals in Belgien, kennen und wissen so gut wie nichts über dieses Land und die Küste. Das wollten wir ändern. Also sind wir nach Nieuwpoort gesegelt. Auch hier gab es seglerisch ein prägendes Ereignis. Während der Ansteuerung von See auf die Hafeneinfahrt stand Micha auf dem Vordeck. Folgender Dialog an Bord:
Micha: Skipper, würdest du die barmherzige Güte besitzen die Hafeneinfahrt mittig zwischen den beiden Molenköpfen anzufahren und nicht direkt auf den Molenkopf an Steuerbord zuhalten, sonst ist die Reise hier gleich beendet, weil du das Boot am Molenkopf versenken wirst.
Skipper: Ich halte mittig auf die Hafeneinfahrt zu!!!
Micha: Nein, das tust du nicht, du hältst voll auf den Molenkopf an Steuerbord zu!!!!
Skipper: Komm bitte zu mir und guck es dir von hier aus und auf dem Plotter an. Ich muss 45° nach Steuerbord vorhalten damit wir Kurs geradeaus ins Hafenbecken haben, unglaublich. Hier herrscht ein Strom, der uns total zur Seite dreht.
So sieht das zum besseren Verständnis aus:
Man liest über Strömung in der Nordsee in allen Handbüchern und Revierführern, aber es real zu erleben ist nochmal etwas anderes. Nieuwpoort gefiel uns dann als Hafen gut und der Ort war ebenfalls recht angenehm. Was gewöhnungsbedürftig ist, ist die Bebauung am Strand. Die gesamte belgische Küste ist an der Wasserlinie mit Hochhäusern zugebaut. Man gewinnt den Eindruck, dass jeder Belgier an der Nordsee eine Wohnung für sich, im Hochhaus mit Balkon und Meerblick, besitzt. Wir dachten, dass hier wohl im 2. Weltkrieg die gesamte Bebauung an der Küste von den deutschen Truppen zerstört und in den Nachkriegsjahren in der bestehenden Form von den Belgiern aufgebaut wurde. Das stimmt so aber nicht (endlich muss man als Deutscher kein schlechtes Gewissen haben), viel mehr haben die Belgier in den Wirtschaftswunderjahren die ursprüngliche Bebauung an der Küste abgerissen und -geleitet von dem Gedanken, dass sich jeder Belgier eine Wohnung am Strand mit Balkon und Meerblick leisten sollte- die Hochhäuser am Strand geschaffen. Hochhäuser mit Meerblick, mit Balkon und Beton galt damals wohl als chic. Wir sind einen Teil der Küstenlinie -aufgrund des mal wieder herrschenden schlechten Wetters- mit dem Fahrrad 40 km lang auf- und abgefahren. Vor den Hochhäusern befindet sich ein breiter Boulevard, dann der feinsandige Nordseestrand. Alles wirkt gepflegt und macht einen ordentlichen Eindruck. Aber an die Hochhäuser mag man sich nicht so recht gewöhnen. Zwischen den Ortschaften findet man wieder Reste des Atlantikwalls, also ehemalige deutsche Bunker, Geschütze, etc. Bedrückend und es macht wieder ein schlechtes Gewissen.
Unsere zweite Station in Belgien war dann der Hafen von Oostende. Auch soweit ok, kein Traum, aber dieser Hafen ist gut angebunden an das belgische Eisenbahnnetz und wir sind mit dem IC in 30 Minuten nach Brügge gefahren. Eine traumhaft schöne Stadt. Charakteristisch sind die Kanäle, kopfsteingepflasterten Straßen und mittelalterlichen Gebäude der Stadt. Dieser Besuch hat sich sehr gelohnt und hat unser Bild von Belgien nachhaltig positiv geprägt.
Mein Fazit zu Belgien: Ein Land mit verschiedenen Gesichtern, an die Küstenlinie mag ich mich nicht gewöhnen, die Bebauung bleibt befremdlich. Brügge lohnt sich sehr. Die Belgier selbst sind ehr reserviert, mögen kein Englisch sprechen, kein Deutsch und schon gar kein Französisch, was daran liegen mag, dass die Franzosen die Belgier belächeln und oft verspotten. Das Segeln in Belgien ist anspruchsvoll, macht aber viel Spaß.
Dann sehen wir die Wettervorhersage, der Sommer soll endlich kommen. Wir segeln voller Vorfreude nach Vlissingen (NL). Erst mit gutem Wind von achtern und mitlaufenden Strom, dann fallen wir in die Westerschelde ab und der Wind geht zurück. Wir müssen die Segel reinnehmen und den Motor bemühen. Wieder lernen wir den Strom in der Nordsee bzw. Westerschelde kennen. Mit einer Motordrehzahl von 1.350 1/min (was normalerweise 4 Knoten Fahrt bedeutet) machen wir gut 7 bis 8 Knoten Fahrt über Grund. In Vlissingen liegen wir mitten in der Ortschaft im Stadthafen. Ein toller Liegeplatz, zur einen Seite direkt an der Altstadt und zur anderen Seite an der Westerschelde gelegen. Auf der Westerschelde zieht die Berufsschifffahrt von Antwerpen kommend in die Nordsee vorbei. Am nächsten Morgen fahren wir den „Kanal door Walcheren“ entlang ins Veersemeer. Das Veersemeer wurden von den Niederländern sozusagen der Nordsee durch den Bau eines Dammes abgerungen und ist jetzt ein Binnengewässer mit sehr schönen, kleinen Inseln. Am Ufer gibt es kleine Stege an denen man „for free“ anlegen kann. Wir sind in den nordwestlichen Teil des Veersemeers gesegelt, haben uns vor Anker gelegt. Traumhaft schön. Abends wurde an einem Steg etwas frei, somit hatten wir Zugang zum Land und wir können von dem Steg aus über den Deich direkt an den Nordsee-Strand gehen. Ein wunderschöner Küstenabschnitt, ein traumhaftes Revier. Dazu das schöne Sommerwetter. Wir leben derzeit ein unbeschwertes Leben, pendeln zwischen Boot, Nordseestrand und Strandbar hin und her. Wir leben an Bord von unseren Vorräten, grillen unser Fleisch und Fisch. Wir hoffen, dass unsere Batterien an Bord noch einige Tage halten. Denn wenn die Batterien leer sind, brauchen wir einen Hafen oder eine längere Fahrt unter Maschine, um die vitalen Funktionen an Bord (Kühlschrank, Handy laden, Musik hören, etc.) aufrecht zu erhalten. Ulysses braucht eine verbesserte Ladeinfrastruktur, mehr Autarkie, das steht fest!
So, mehr gibt es derzeit nicht zu berichten, wir genießen weiterhin das tolle Sommerwetter, es soll sich etwas abkühlen und wechselhafter werden, wir überlegen nach Antwerpen zu segeln, ein neuer Versuch sich den Belgiern zu nähern. Und im Grunde genommen eine Stadt, die uns reizt, so schnell kommen wir dort bestimmt nicht wieder hin?